Vor keinem Mittel zurückgeschreckt (17.07.2017)

Aus der Offenbach Post vom 17.07.2017:

Horst Schäfer referiert über Dietzenbachs Bürgermeister

Vor keinem Mittel zurückgeschreckt

Dietzenbach – Horst Schäfer hat bei einem Vortrag im Museum für Heimatkunde und Geschichte über ein dunkles Dietzenbacher Kapitel referiert. Im Fokus dabei: die beiden Bürgermeister Eduard Großmann und Heinrich Fickel. Von Barbara Scholze 

Bisher haben die beiden Bürgermeister Eduard Großmann und Heinrich Fickel, die Dietzenbach während des nationalsozialistischen Regimes verwalteten, eher eine plakative Rolle in der Ortsgeschichte eingenommen. Nun hat sich einer aufgemacht, auch das Persönliche hinter dem offiziell Bekannten zu erforschen. Horst Schäfer hat Archive besucht, ist für Zeitzeugengespräche quer durch Deutschland gereist und hat Informationen zusammengetragen, die eine Epoche des Schreckens abrunden. Verarbeitet hat er seine Rechercheergebnisse zu Opfern und Tätern der NS-Zeit in dem Buch „… und tilg nicht unser Angedenken“, herausgegeben vom Arbeitskreis „Aktives Gedenken in Dietzenbach“ und dem Verein „Zusammenleben der Kulturen“. In einem Vortrag im Museum für Heimatkunde und Geschichte stellte er nun vor vollem Haus die Verwaltungschefs Großmann und Fickel genauer vor.

„Es ist das erste Mal seit dem Jahr 1945, dass wir ausführlich über diese beiden Personen sprechen“, betonte der Referent gleich zu Beginn. Am 8. Mai 1933 wird der seit 1919 amtierende Dietzenbacher Bürgermeister Karl Krapp seines Amtes enthoben und kommissarisch durch Eduard Großmann ersetzt. „Er ist in der Stadtchronik ein völlig unbeschriebenes Blatt“, so Schäfer. Großmann stammt aus Mainz, geboren ist er am 24. Juni 1901. Obwohl er die Staatsprüfung für den „gehobenen mittleren Verwaltungsdienst“ abgelegt hat, bezeichnet er sich verschiedentlich als „Versicherungsinspektor“. Im Jahr 1933 tritt er in die NSDAP ein und gilt damit als „alter Kämpfer“, also als einer, der besonders „geschätzt, gefördert und unterstützt“ wird. Seine Amtseinführung in Dietzenbach begleiten die nationalsozialistisch ausgerichteten Offenbacher Nachrichten unter anderem mit folgenden Worten: „Kommissarischer Bürgermeister Großmann dankte zunächst für den überaus freundlichen Empfang, wies auf Hitlers großes Werk hin und versprach, in der Gemeinde genau so zu arbeiten wie unser Führer im Großen.“

In diesem Sinne regiert der neue Bürgermeister, der auch im Kirchenvorstand der evangelischen Gemeinde ist und im Verwaltungsrat der Bezirkssparkasse Langen sitzt. In den zwei Jahren seiner Amtszeit kommen in dem kommunistisch geprägten Dietzenbach immer wieder Bewohner in Haft, etwa wegen Beleidigung der Regierung. Über seinen Vorgänger lässt er verlauten, er habe ein großes Durcheinander und finanzielle Misswirtschaft hinterlassen. Nichtsdestotrotz ist die Karriere Großmanns Mitte Januar 1935 schlagartig beendet und er wird abberufen. Er wechselt zum Landesernährungsamt in Frankfurt und später zur Landesbauernschaft nach Danzig. Nach dem Krieg zieht er, in nunmehr dritter Ehe verheiratet, eine vierte soll noch folgen, in die Nähe von Bremen. Im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens verschweigt er unter anderem seine Zeit als Bürgermeister in Dietzenbach und wird lediglich als „Mitläufer“ eingestuft und zu einer Geldstrafe verurteilt. „Damit war er völlig aus dem Schneider“, sagte Schäfer. Großmann stirbt am 26. Oktober 1986 im Alter von 85 Jahren in Bremen.

In Dietzenbach abgelöst wird der NS-Scherge von einem deutlich brutaleren Ortschef. Heinrich Fickel wird am 21. Dezember 1892 in Offenbach geboren, besucht die Volksschule und die Oberrealschule und wird Kaufmann. Mit seiner späteren Frau Susanne adoptiert er ein Kind, dessen Vater „Volljude“ ist. Er arbeitet eine Zeit lang in Detroit, in der Automobilindustrie. In die NSDAP tritt er nach eigenen Angaben ein, „um Deutschland von dem drohenden Bolschewismus zu befreien“. Als Bürgermeister wirkt Fickel zuerst in Heusenstamm, wo es etliche Beschwerden wegen Trunkenheit und Brutalität gegen ihn gibt. „Ich habe mit eiserner Faust Ordnung geschaffen“, teilt er dagegen in einem Brief an Joseph Goebbels mit. Auch in dem „roten Nest Dietzenbach“ stellt Fickel ab 1935 seine Gewaltbereitschaft unter Beweis. Zudem gehen beim Gemeinderat Nachrichten darüber ein, der Bürgermeister bezahle Rechnungen nicht und habe auf Kosten der Gemeinde ein Haus gebaut. „Fickel war grobschlächtig und schreckte vor keinem Mittel zurück“, berichtete Schäfer. Er hält eine Schlägertruppe und verübt gar einen Mordanschlag auf einen Pfarrer. Als die Amerikaner im März 1945 einmarschieren, flieht er, wird allerdings zwei Tage später auf dem Gutshof Patershausen verhaftet. In einem ersten Kammerspruch wird er als Hauptschuldiger eingestuft. Ein Widerspruch bringt ihm das Urteil als „Belasteter“ mit der Strafe Arbeitslager für dreieinhalb Jahre. Ende des Jahres 1948 kommt Heinrich Fickel schon wieder frei. Er stirbt im September 1961 in Eppingen.

Quelle:
https://www.op-online.de/region/dietzenbach/horst-schaefer-referiert-ueber-dietzenbachs-buergermeister-waehrend-zeit-nationalsozialismus-8490537.html

Vor keinem Mittel zurückgeschreckt (17.07.2017)
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