660 Seiten gegen das Vergessen (17.11.2016)

Aus der Frankfurter Rundschau vom 17.11.2016:

DIETZENBACH

660 Seiten gegen das Vergessen

von Annette Schlegl

Eine Gruppe engagierter Bürger lässt ein Mammutwerk entstehen, das die Schicksale NS-Verfolgter in Dietzenbach beleuchtet. Für den Druck werden noch Spender gesucht.

Mitherausgeber Artus Rosenbusch hält den „Prototyp“ des Gedenkbuches in der Hand.
© Monika Müller

Die Zeitzeugen werden weniger, die Erinnerungen verblassen, wichtige Dokumente sind von den Nazis vernichtet worden. Trotzdem dürfen die Geschichten der NS-Verfolgten und die Gräueltaten im Dritten Reich nicht vergessen werden. In Dietzenbach will eine kleine Gruppe von Bürgern die menschlichen Schicksale jener unseligen Zeit wieder lebendig machen und gleichzeitig geschichtliche Wissenslücken füllen. In Eigeninitiative wollen sie ein 660 Seiten starkes Gedenkbuch herausgeben. Die Geschichte der politisch Andersdenkenden im Nationalsozialismus, über die bisher sehr wenig in Dietzenbacher Lokalchroniken zu finden ist, wurde akribisch recherchiert.

Dass das Buch mit dem Titel „… und tilg nicht unser Angedenken“ überhaupt zustande kam, ist hauptsächlich dem Dietzenbacher Horst Schäfer zu verdanken. Der pensionierte Richter hat vor drei Jahren bei einer Stolperstein-Putzaktion seine Liebe zu dem Thema entdeckt, wollte mehr wissen über die schrecklichen Erlebnisse der jüdischen Mitbürger. Seitdem hat er sich durch Archive in ganz Deutschland gewühlt, hat Zeitzeugen befragt, bekam allein schon von berufs wegen Türen geöffnet. So ist eine wissenschaftliche Forschungsarbeit entstanden, die eine „Geschichtsbuchverbesserung von großer Tragweite“ sei, so Artus Rosenbusch, der Leiter des Arbeitskreises Stolpersteine.

Zwar wird das Gedenken an die NS-Verfolgten von seinem Arbeitskreis hochgehalten, doch es gibt – wie in den meisten Kommunen des Kreises Offenbach – nur lückenhafte Chroniken über die damalige Zeit. Schäfer stieß bei seinen Nachforschungen auf Geschichten, die noch nie erzählt wurden, und auf Menschen, die in Vergessenheit geraten waren. Er beleuchtet das Leben der Zwangsarbeiter – ein Thema, zu dem es in Dietzenbach überhaupt keine Erkenntnisse gab –, und schreibt über die Rolle von Verantwortlichen.

Noch ist die Finanzierung des Mammutwerkes nicht in trockenen Tüchern. Knapp 8000 Euro fehlen noch, um die Druckkosten für 300 Exemplare abzudecken. „Wir werden diese 8000 Euro so schnell nicht erreichen“, sagt Rosenbusch. Deshalb hat er sich zusammen mit der Mitherausgeberin Gertrud Röhner vom Verein „Zusammenleben der Kulturen“ bereit erklärt, den Differenzbetrag vorzuschießen, damit das Buch auf jeden Fall noch in diesem Jahr gedruckt werden kann.

Quelle:
https://www.fr.de/fr-serien/liebe-sti918408/seiten-gegen-vergessen-11054975.html

660 Seiten gegen das Vergessen (17.11.2016)
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